End-to-End Prozesse modellieren

Prozessmanagement erlebt, angetrieben durch die Digitalisierung, eine Renaissance. Um die eigenen Geschäftsprozesse ganzheitlich zu verstehen, müssen sie für das Unternehmen übergreifend in einer End-to-End-Sicht beschrieben werden.

Der End-to-End Ansatz für integrierte Prozessmodelle

In den vergangenen Jahren haben sich in vielen Unternehmen funktional orientierte Prozessgräber gebildet. Die Dokumentationsarbeit war oft nur noch Alibi, zum Beispiel für Qualitätsmanagement-Audits. Mit diesem Ansatz kann heute keine Digitalisierung erfolgen.

Anstatt für funktionale Bereiche wie Entwicklung, Produktion und Logistik eigene Beschreibungen zu erstellen, ist es ratsam, ein integriertes Prozessmodell auf Basis von End-to-End Sichten aufzubauen. Die genannten singulären Bereiche können zum Beispiel zusammengefasst werden zum End-to-End-Prozess "Herstellung zu Lieferung".

Strukturierung horizontaler und vertikaler Inhalte im Prozessmodell

Die folgende Abbildung zeigt exemplarische End-to-End-Prozesse, die als Startpunkt für Entwicklungen dienen können. Auf den ersten Blick erscheint dieser Ansatz trivial. Für Unternehmen wird es interessant, wenn die einzelnen End-to-End Prozesse detailliert werden. Dann steht der Architekt des BPM-Modells vor der Frage, wie die Bereiche voneinander abzugrenzen sind. Das betrifft sowohl die horizontale Trennung, also wie End-to-End-Prozesse voneinander abgegrenzt werden, als auch die vertikale Detaillierung, in der der Detailumfang beschrieben wird. Dabei bezieht sich die horizontale Granularität auf die inhaltliche Teilung der Prozessbereiche und die vertikale Granularität auf die Detaillierungstiefe jedes Inhaltsbereichs.

Um in verteilten Modellierungsprojekten sicherzustellen, dass das Gesamtmodell einheitlich aufgebaut ist, müssen vor Beginn der Arbeiten unmissverständliche Kriterien definiert werden. Es ist wichtig, dass die Kriterien zur Unterteilung eine sichere Abgrenzung erlauben, dabei aber so einfach sind, dass sich der Aufwand zur Abgrenzung in vertretbaren Grenzen hält. Ausgangspunkt ist die horizontale Segmentierung. In einem Modellierungsprojekt sind deshalb zunächst die zentralen End-to-End-Prozesse zu identifizieren.

End to End Prozesse

Identifikation eines End-to-End Modells

Optimal für die Abgrenzung horizontaler Modellierungsinhalte sind objektbasierte Unterteilungen. Das bedeutet, dass zur Aufteilung der horizontalen Bereiche zunächst die zentralen Geschäftsobjekte zu identifizieren sind. Im Regelfall finden sich pro End-to-End-Prozess maximal drei zentrale Geschäftsobjekte. Ein zentrales Geschäftsobjekt wird durch folgende Kriterien eindeutig bestimmt:

  • Wesentliche Bearbeitung des Geschäftsobjektes durch den betrachteten Bereich von End-to-End-Prozessen. Das Geschäftsobjekt kann in anderen End-to-End-Prozessen eine Verwendung finden, erfüllt dort aber nicht die beiden folgenden Kriterien.
  • Das Geschäftsobjekt ermöglicht die Messung der Leistung des betrachteten End-to-End Prozesses. Zum Beispiel ist es anhand der Anzahl der bearbeiteten Geschäftsobjekte möglich zu bestimmen, wie effektiv und effizient der betrachtete Bereich arbeitet.
  • Das zentrale Geschäftsobjekt ist nicht das Prozessergebnis des betrachteten End-to-End-Prozesses. Geschäftsobjekte, die durch Aktivitäten im betrachteten Prozessbereich entstehen können, können in nachfolgenden Bereichen zentrale Prozessobjekte darstellen.

Das Vorgehen zur Segmentierung der Geschäftsprozesse folgt dem Ablauf:

  1.  Ermitteln der jeweiligen End-to-End-Prozesse im betrachteten Modellierungsdetail,
  2. Festlegen von maximal drei zentralen Geschäftsobjekten für jeden End-to-End-Prozess,
  3. Überprüfen, ob die festgelegten zentralen Geschäftsobjekte nur im zugeordneten End-to-End-Prozess als zentrale Objekte Verwendung finden. Sollte diese Eindeutigkeit nicht gegeben sein, müssen die End-to-End-Prozesse in der betrachteten Granularität neu geschnitten werden. 

Die horizontale Grenze zwischen zwei End-to-End-Prozessen ist genau an der Stelle zu ziehen, an der eine Veränderung der zentralen Prozessobjekte erfolgt. Die vertikale Struktur sollte demgegenüber instanzbasiert vorgenommen werden. Das bedeutet, dass für das Festlegen der Modellierungstiefe - also der vertikalen Dekomposition - die Instanzstruktur des betrachteten Prozesses zu ermitteln ist. Jede Aktivität innerhalb eines Prozesses muss eine vergleichbare Instanzgranularität besitzen.

Die Detaillierungstiefe erfolgt nach folgendem Muster:

  1.  Ermitteln aller Aktivitäten des betrachteten End-to-End-Prozesses,
  2. Erstellen des zugehörigen Prozessmodells für das betrachtete Prozesssegment,
  3. Überprüfen, ob alle Aktivitäten des betrachteten Prozesses eine vergleichbare Instanzgranularität aufweisen. Sollte das nicht der Fall sein, ist an diesen Punkten eine weitere Detaillierung des betrachteten Prozesses erforderlich.

Die vertikale Detaillierung eines End-to-End-Prozesses erfolgt genau an den Stellen, an denen Aktivitäten eine höhere Instanzgranularität aufweisen als der Gesamtprozess. Die horizontale Abgrenzung sorgt für eine Unterteilung des gesamten Unternehmensprozesses in handhabbare Segmente, wohingegen die vertikale Verfeinerung die Detaillierungstiefe der einzelnen Segmente bestimmt.

In größeren Digitalisierungsprojekten, die verschiedene End-to-End-Prozesse eines Unternehmens betreffen, ist es darüber hinaus noch erforderlich, mithilfe detaillierter Vorgaben sicherzustellen, dass die erstellten Prozessmodelle innerhalb eines festgelegten horizontalen und vertikalen Dekompositionsrasters liegen. Dazu definiert man grob, in welchem Detaillierungsumfang sich die Modellierung bewegen soll.


Basierend auf Erfahrungen aus zurückliegenden Modellierungsprojekten ist es möglich, Richtgrößen zur End-to-End-Struktur eines Prozessmodells anzugeben. Folgende Abbildung zeigt ein häufig anzutreffendes und gut ausbalanciertes Mengengerüst.

Auf der X-Achse sind die empfohlenen Richtwerte für die ausführenden Kontrollflussobjekte angegeben. Es ist erkennbar, dass eine umfangreichere End-to-End-Modellierung zunächst über eine Erhöhung der auszuführenden Kontrollflussobjekte und nicht über eine Steigerung der Modellierungstiefe realisiert werden sollte.

Auf der Y-Achse ist die Detaillierung des Modells dargestellt. Jeder vertikale Detaillierungsschritt muss eine einheitliche Instanzgranularität aufweisen. Inhalte sollten zu allen anderen Inhalten des Detaillierungsniveaus ein möglichst gleiches Instanzverhalten zeigen. In der Modellierung beginnt man zunächst mit der Abbildung der zentralen End-to-End-Prozesse eines Unternehmens mithilfe einer Übersicht.

end to end processes

Richtgrößen und Mengengerüst

Als Richtgröße für die zu definierenden End-to-End-Prozesse empfiehlt sich eine Anzahl von sechs bis zwölf Prozessen. Nachfolgend werden die auf der Übersicht dargestellten End-to-End-Prozesse detailliert. Beispielsweise sollten die untergeordneten Hauptprozesse in fünf bis sechs End-to-End-Hauptprozesse zerfallen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Instanzgranularität aller detaillierten Prozesse gleich ist. Analog verhält sich das nachfolgende Detaillierungsniveau.

Die gezeigten Detaillierungen bilden die fachliche Übersicht der End-to-End Prozesse und damit die Basis für eine weitere Beschreibung. Sie liefern einen wichtigen Beitrag in der Konzeption und Umsetzung von Digitalisierungsvorhaben, Orientierungspunkte bei Reorganisationen, Strukturierungshilfen im Risikomanagement und einen echten prozessorientierten Ansatzpunkt für die Einführung von Prozess-Mining und Prozess-Monitoring.

Eine genaue Beschreibung der Unterprozesse kann anschließend mithilfe detaillierter Ablaufbeschreibungen vorgenommen werden. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Aktivitäten eines Prozesses bis zu einer betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll weiter zerlegbaren Aktivität zu dokumentieren. Die Angaben zur Diagramm- und Objektanzahl orientieren sich an einem durchschnittlichen Modellierungsprojekt und sind sowohl für mittelständische Unternehmen wie auch auf Konzernniveau gültig. Bei Letzteren sind sie auf einzelne Konzernbereiche bezogen.

Hinweis: Dieser Beitrag ist als Fachartikel auf Computerwoche.de erschienen.

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